Festakt am Sonntag, den 19. Januar 1964
Am Vortag der grandiosen Feierlichkeiten am Sonntag, dem 19. Januar 1964, fasst Winfried von Rüden im „Beobachter an der Haar“ Kerngedanken der Vereinigung zusammen.
Die gemeinsame Kirche und Schule bilden das geistige und kulturelle Zentrum. Gemeinsames Schicksal im Laufe der Jahrhunderte kitte gerade bei den kleinen Dingen zusammen.
Um in der Welt bestehen zu können, müssten sich in der Heimat die Menschen zu gemeinsamem Handeln zusammenschließen.
Markante Meilensteine für ein Büderich, als Gemeinde mit Zukunft, seien bereits gesetzt worden.
So habe es nichts mehr mit West- oder Ostbüderich zu tun, wenn auf dem Gebiet des Genossenschaftswesens mit der Molkerei bereits beachtliche Erfolge aufzuweisen seien. Der Beschluss im vergangenen Jahr, mit der Molkerei in Soest zusammen zu arbeiten, gehe in die gleiche Richtung.
Weitere Meilensteine seien der Bau der neuen Schule und der Entschluss der Kirchengemeinde, ein Jugendheim zu bauen. Gemeinsame Kanalisation, Straßenbeleuchtung und die harmonisch ineinander fassenden Flächennutzungs- und Bebauungspläne gehören dazu. Auch hier frage man nicht nach Ost- oder Westbüderich.
Die Zukunft Büderichs habe schon begonnen. Das morgige Fest sei nur noch ein Verwaltungsakt, durch den das nach außen rechtens werde, was in der Praxis schon lange Wirklichkeit sei.
Über die Zukunft eines selbständigen Büderich hat Wilfried von Rüden aber sicher zu kurz gedacht.
Das Programm am Sonntag sieht nach dem Hochamt in der Pfarrkirche St. Kunibert um 9.00 Uhr die Feierstunde in der Turnhalle der neuen Marienschule um 10.30 Uhr vor. Neben den Ehrengästen ist die ganze Gemeinde eingeladen.
Die Begrüßungsrede und das Schlusswort trägt der Beauftragte für die Wahrnehmung der Aufgaben des Rates und des Bürgermeisters Fritz Tönnies vor. Das Gesetz des Landtags über die Zusammenlegung der beiden Gemeinden wird vorgelesen. Daran schließen sich die Grußworte und Glückwünsche von Landrat Blume, Amtsbürgermeister Brumberg, MdB Majonika und MdL Dr. Pöppinghaus an. Die Festansprache hält Oberkreisdirektor von Winzingerode.Das Mozartorchester Soest, der MGV Eintracht und der Kirchenchor Büderich unter Leitung von Vincenz Frigger umrahmen die Feierstunde. Am Ende erfolgt das Singen des Deutschlandliedes.
Die Ehrengäste sind anschließend zum gemeinsamen Mittagessen in die Gaststätte Haumann eingeladen. Bei guten Speisen und Getränken lässt die Spannung der Akteure nach dem guten Gelingen des ersten Festteils deutlich nach.
Um 16.00 Uhr beginnt, ebenfalls in der Marienschule, die „Heimatstunde“. In etwas gelockerter Form hat Fritz Tönnies nun seinen dritten Auftritt mit der Begrüßung der Gäste.
Pfarrer Kirchner und Pfarrer Herbers, der die evangelischen Bürger Büderichs vertritt, würdigen noch einmal die Tagesereignisse. Kirchner spricht von der Bedeutung der Gemeinde im staatlichen Aufbau. Der Zusammenbruch von 1945 wäre noch verheerender gewesen, wenn auch die kommunalen Verwaltungen versagt hätten. – Leider verschweigt Kirchner, dass 1945 auch das Jahr der Befreiung vom Nationalsozialismus war. Herbers spricht unter Hinweis auf die Einigung der Gemeinden die Hoffnung aus, dass auch die eine Kirche Christi Fortschritte auf das gemeinsame Ziel mache.
Im Mittelpunkt des Nachmittags steht der Vortrag von Oberstudiendirektor Rudolf Preising mit dem Thema: „Wissenswertes aus Büderichs Vergangenheit“. In einem weiten Bogen beschreibt Preising die frühe Geschichte Büderichs bis heute. Büderich sei vor 1100 Jahren, heute also vor 1150 Jahren, erstmals in den Urkunden Kloster Corveys erwähnt worden. Der Schwerpunkt des Vortrags liegt jedoch auf der Geschichte der Höfe. In einer Wanderung durch das Dorf, unterlegt mit plattdeutschen Einlagen, „`ne Miule vull Platt“, stellt er die Verbindung zur Gegenwart her.
Dabei spart er nicht mit drastischen Hinweisen für die Alltagspraxis in der Landwirtschaft. – Ich erinnere mich noch an die Passage, in der er die Büdericher Landwirte aufruft, zugunsten der gottgewollten natürlichen Vorgänge, auf eine künstliche Besamung der Kühe und Schweine zu verzichten. Die Büdericher scheinen von seinem Vortrag begeistert zu sein. –
Die wissenschaftliche Aufarbeitung der Geschichte Büderichs erfolgte dann in seinem 1967 erschienenen Buch „Büderich“.
Das Plattdeutsche Theaterstück: „Klaischmöiken“, vorgetragen von der Laienspielschar Büderich, erfreut köstlich die Zuschauer. Für den musikalischen Rahmen sorgen der Instrumentalkreis Vincenz Frigger, der Kirchenchor Büderich und der MGV Eintracht Büderich.
Das Schlusswort hat Amtsdirektor Hiltenkamp. Die Veranstaltung endet mit dem gemeinsam gesungenen Westfalenlied. Der Abschluss des Tages wird bei einem Dorfabend mit Musik und Tanz im Saale Randelhoff – Lüke gefeiert. Auch für die Standfestesten geht irgendwann ein wahrhaft anstrengender Tag zu Ende.
Kommunalwahlen 1964
Am 18. Januar 1964 wird im Amthaus und im Aushängekasten in Büderich eine öffentliche Sitzung des Wahlausschusses bekannt gegeben. Gleichzeitig wird darauf hingewiesen, Vorschläge für die Kommunalwahlen in Büderich am 1. März einzureichen. Nach einer Phase der Euphorie für „Großbüderich“ ist nun „Schluss mit lustig“. Der politische Alltag hält Einzug.
Der Landesbeauftragte Fritz Tönnies stellt in einem Pressegespräch fest: „Es ist mein größter Wunsch, dass der Wahlkampf fair und anständig geführt wird, ohne persönliche Gehässigkeiten. Unsachliche Angriffe sollten unter allen Umständen unterbleiben.“
Neben der CDU stellen sich die Gesamtdeutsche Partei und die FDP mit jeweils sechs Kandidaten zur Wahl. Die SPD schickt vier Kandidaten ins Rennen.
Die politischen Vorstellungen der einzelnen Parteien unterscheiden sich aus heutiger Sicht nur geringfügig. Die kommunalpolitische Erfahrung zählt. Wohnungsbau und Industrieansiedlungen gelte es zu fördern, damit Büderich haushaltsmäßig gut dastehe.
Interessant ist, dass sich die Vertreter aller bewerbenden Parteien dahingehend aussprechen, Landesbeauftragter Fritz Tönnies habe sich in selbstloser Weise ohne Rücksicht auf sein Geschäft für das Wohl der Gemeinde eingesetzt.
Umso erstaunlicher ist, dass gerade die CDU einen Wahlkampf betreibt, der in seiner Härte zum Teil auch unter der Gürtellinie verläuft.
Haben sich die örtlichen und überörtlichen Repräsentanten dieser Partei durch den turbulenten Wechsel von Gründungsmitglied Eberhard Poggel zur FDP so sehr gereizt gefühlt? Hat sie die schillernde Karriere des Bürgermeisters Sträter von der Zentrumspartei über die CDU bis hin zur FDP völlig irritiert? Der Wahlsieg der CDU war Dank Tönnies doch so gut wie sicher!
Sträter wird der „Verkauf der Molkerei“ angelastet. Mit der Äußerung, „Tag der Machtergreifung“, am 31. Januar 1964, dem Tag seines Wechsels zur FDP, wird ihm, dem erklärten Nicht-Nazi, die „Pflege alten Gedankentums“ unterstellt. Zu einem Kandidaten der FDP, einem früheren CDU-Gründungsmitglied in Büderich, wird demagogisch geschrieben: „Jeder kennt ihn!“. Ohne weiteren Kommentar. Die bedauerlichen Entgleisungen waren sicher nicht im Sinne von Fritz Tönnies.
Das Wahlergebnis führt zu einem großen Sieg der CDU. Die SPD, die sich in den Vereinigungsdebatten erstaunlich zurück gehalten hatte, kommt nicht mehr in das Gemeindeparlament.
Die CDU zieht mit acht Vertretern in den Gemeinderat. Es sind Fritz Tönnies, Kaspar Kortmann, der sogar den größten Stimmenerfolg erzielte, Franz Diek, Josef Krampe, Heinrich Brinkmann, Josef Theine und Franz Rinsche. Neu ist Tonius Uhlenberg im Parlament. Für die FDP sind Josef Sträter, Eberhard Poggel und als neues Mitglied Alfred Rüther gewählt worden. Die GDP wird durch den ebenfalls neuen Gemeinderat Herbert Sorke vertreten.
Am 13. März 1964 findet in der Gastwirtschaft Haumann die feierliche, konstituierende Gemeinderatssitzung im Beisein der Schulkinder aus den älteren Jahrgängen statt. Fritz Tönnies wird mit 9 Stimmen zum Bürgermeister gewählt. Sein Gegenkandidat von der FDP, Eberhardt Poggel, erhält 3 Stimmen. Bemerkenswert ist die Wahl Kaspar Kortmanns mit allen Stimmen zum stellvertretenden Bürgermeister, ein Zeichen des sich anbahnenden Interessenausgleichs. Bei den Wahlen zu den verschiedenen Ausschüssen kommen alle im Rat vertretenen Parteien zum Zuge.
Die regulären Kommunalwahlen am 27. September 1964 verändern die Mehrheitsverhältnisse in Büderich nur unwesentlich. Tönnies und Kortmann bleiben mit allen Stimmen des Rates Bürgermeister und Stellvertreter. Die Fusion ist endgültig vollzogen.
Kommunale Neugliederung 1969
Mit Elan und Unterstützung fast aller Büdericher wird an die Bewältigung wichtiger kommunaler Aufgaben herangegangen. Großbüderich hat vermeintlich die Zukunft vor sich. Große Projekte werden geplant und durchgeführt. Wandweg-Siedlung, Ausbau von innerörtlichen Straßen und ehemaligen Feldwegen, Gehsteige, Bushaltestellen, Industrieansiedlung. Ausbau des kulturellen Zentrums der Marienschule mit Podium in der Turnhalle, Straßenbeleuchtung, Friedhofskapelle, Ausbau der Kanalisation und manch andere Aufgaben werden angegangen und weitgehend im Stil der Zeit verwirklicht.
Reicht das zum selbständigen Überleben?
Der Verlauf der Ereignisse hat es gezeigt. Anderswo, außerhalb des überschaubaren „Großbüderich“, wird am Rad der Geschichte gedreht, werden Vorgaben für eine angeblich „effizientere Verwaltung“ erarbeitet. Auf die historisch gewachsenen mentalen Befindlichkeiten der Bevölkerung wird nur noch wenig geachtet.
Am 1. Juli 1969 wird das Amt Werl aufgelöst und Büderich der Stadt Werl als Ortsteil, vornehm „Stadtteil“ genannt, einverleibt. Der entschiedene Widerstand des Bürgermeisters Fritz Tönnies geht ins Leere. Aus dem Bürgermeister wird nur noch ein Ortsvorsteher. Als „Löwe von Büderich“ vertritt er aber weiterhin vehement im Rat der Stadt Werl die Interessen von Büderich und gibt der Verwaltung manch harte Nuss zu knacken.
Möge die Identität des Dorfes Büderich nicht zu Gunsten eines anonymen Stadtbezirks „Werl–West“ mit einem „Bezirksbürgermeister“ an der politischen Spitze verloren gehen!
Ich wünsche dem bestehenden Büderich im Rahmen der Stadt Werl eine gute, nein eine bessere Zukunft.
Mit diesem Wunsch hat mein Vater vor 10 Jahren seinen Festvortrag beendet. Er passt aber auch noch in unsere heutige Zeit. So lassen wir auch unsere kleine Serie mit diesem Wunsch enden.
Beitrag von Kunibert Mawick + / Redaktion Markus Mawick