Noch einmal Kriegsende vor 80 Jahren

In Ergänzung zu der ausführlichen Beschreibung des Einmarsches der Amerikaner in Büderich vor 80 Jahren wollen wir an dieser Stelle noch zwei weitere Augenzeugenberichte in Ausschnitten veröffentlichen.
Meine Großmutter Mia Mawick geborene Kortmann schreibt gegen Ende April ihrer Schwester Elfriede, die sich zum Kriegsende an ihrer Arbeitsstelle in Brilon befindet. Mit Kriegsende ist auch das Postwesen in Deutschland zusammengebrochen und zum Transport eines Briefes war man darauf angewiesen, jemanden zu finden, der in Richtung des Empfängers reisen wollte. Ein Brief konnte somit durch eine Reihe von Händen gehen, bis er – wenn überhaupt – sein Ziel fand.

Meine Großmutter erlebte das Kriegsende im Haus der Mawicks an der Chaussee, heute Büdericher Bundesstraße:

…Ostern haben wir noch gut verlebt, teilweise haben wir das Essen in der darauffolgenden Woche im Keller eingenommen und die letzten Nächte auch im Keller geschlafen. Der Weiße Sonntag wird für uns immer im Gedächtnis bleiben.

Ich dachte an den Abend, als die Panzer anrollten und die tolle Schießerei und das Artilleriefeuer von unseren eigenen Soldaten auf uns begann, dass wir nicht mehr mit dem Leben davongekommen seien, oder doch auch kein Dach über dem Kopf behalten hätten. Sämtliche Scheiben an unserem Hause waren fast alle entzwei. Die Glassplitter flogen uns nur so um die Köpfe. Maria, Elli und ich waren in dem Moment noch gerade oben im Hause. Es sah fürchterlich aus. Was haben wir eine Angst ausgestanden, wir Frauen waren ja allein hier mit den Kindern. Franz hat es bei Kortmanns überrascht und er hat dort im Keller die Sache abgewartet, da er hier von unseren Soldaten nicht mehr über die Straße gelassen wurde.

Zur Einordnung: Maria und Elli waren ihre Schwägerinnen, Franz ihr Ehemann.

Der Angriff war gegen ½ 9 Uhr abends und um ½ 12 kamen die ersten Amerikaner schwer bewaffnet ins Haus und suchten nach deutschen Soldaten. Sie blieben dann auch die Nacht im Haus und 7 bis 8 Mann haben in der Nähstube und im neuen Zimmer geschlafen. Wir mussten im Keller bleiben. Gott sei Dank hat alles gut gegangen und man hat uns nichts weggenommen. Es waren anscheinend anständige Leute, aber anderwärts?

Auch am folgenden Tag bei den Haussuchungen nach Waffen ging alles gut. Wir sagten, Gott Dank, wir haben noch alle und haben ein Dach über dem Kopf behalten, alles andere ist nicht so schlimm und die Schäden mit der Zeit zu beheben. Das Schlimmste war ja noch, dass wir kein Glas und kein Kitt zum Verglasen hatten. Mit Gemüsebeetfenstern und alten Bildern hat man sich zum nötigsten erst mal geholfen. …

Und das Neueste: unsere Glocken sind vielleicht noch da. Nahe bei Lünen sind noch 1500 Glocken, die noch nicht zerstört sind. Diese Woche will der Herr Pastor selbst hin.

Zur Einordnung: Drei der vier Glocken im Büdericher Kirchturm mussten 1942 zu Gunsten der Rüstungsindustrie abgeliefert werden. Die Hoffnung, die Glocken unbeschadet wiederfinden zu können, hat sich nicht bewahrheitet. 1949 konnte die Kirchengemeinde neue Glocken gießen lassen.

Amerikanische Soldaten vor Recklinghausen, 12.04.1945

Einen weiteren Brief schrieb Helene Kortmann ebenfalls an die Schwester Elfriede in Brilon. Helene lebte zu Kriegsende noch auf dem Elterlichen Hof Ecke Schützenweg – Hellweg. Ihr Vater war bereits verstorben, ihre drei Brüder im Krieg. Auch hier folgen Auszüge aus dem Brief:

…Wir sind hier bei dem Einzug der Amerikaner nicht so gnädig davon gekommen wie ihr in Brilon. Es war hier noch zu viel Militär. Wir haben es richtig erlebt, was Krieg ist. Es hätte uns besser gegangen wenn nicht der Kommandant vom Flughafen abgesetzt worden wäre und an dessen Stelle ein SS-Mann gekommen wäre. So wurde noch verteidigt. So ein Blödsinn! Genau so ging es hier in Büderich. Zwei Panzer sollen dann eine solche Herde aufhalten.

Am Samstag vor dem Weißen Sonntag wurde es hier kritisch. Wir hatten alles fertiggemacht um im Keller zu biwakieren. Es ging gut bis des Nachts um ½ 12 Uhr, da ging es Hals über Kopf in den Keller. Dann gab es 5 Stunden lang Artilleriebeschuss. Es war schlimm. Als am anderen Morgen der Beschuss etwas nachließ und wir uns vorsichtig nach draußen wagten sahen wir nichts anderes als Scherben und Schutt. Im Hause trat man nur auf Dreck und Scherben. Die Ostseite des Hauses hatte es am meisten abbekommen.

Wir haben uns den ganzen Sonntag im Keller aufgehalten und sind nur wenn es mal etwas länger ruhig war nach oben und ums Haus gegangen. Gegen Abend ließ die Schießerei nach da kam Franz Mawick noch eben vorbei, um nachzusehen. Er war aber noch nicht lange da als das Schießen wieder los ging. Wir in den Keller und Franz kam nach einigen Minuten wieder zurück und berichtete, dass er nicht mehr nach Hause könne. Es hätte wohl geklappt aber die deutschen Soldaten ließen ihn nicht durch.

Dann kam aber eine schreckliche Nacht. Schon Artillerieschießen ist unheimlich, aber wenn noch Panzer schießen! Wir haben im Keller alle auf der Erde gelegen (19 Personen). Ich habe die geweihte Kerze in der Hand gehalten. Man kann es nicht beschreiben, es war einfach fürchterlich. Das dröhnte und rappelte. Erst am anderen Morgen wurden wir gewahr, dass die Amerikaner besetzt hatten.

Aber wie sah es auf unserem Hofe aus. Es ist gerade, als wenn es nur auf uns abgesehen gewesen wäre. Ich habe nur gesagt: Gut dass unser Papa es nicht mehr erlebt hat, wie sein Lebenswerk in wenigen Stunden so ruiniert wird. Und doch haben wir noch Glück gehabt. Es hätten alle Pferde tot sein können, denn es ist eine Granate in den Pferdestall geschlagen, aber hat nichts angerichtet, das ist wie ein Wunder. Das Dach am Hause ist stark beschädigt. Es regnet augenblicklich noch rein.

Jedes Zimmer, ausgenommen meines, ist beschädig, teils mehr, teils weniger. An der Waschküche war das Dach kaputt und ein Stück Wand heraus. Der Holzstall ganz eingefallen. Am Speicher sämtliche Fenster kaputt, sogar die Eisenrahmen. Der Bulldog hat Splitter bekommen, sämtliche Brennstoffkannen und Fässer kaputt. Im Garten sind mehrere Einschläge. Und doch können wir noch von Glück sprechen, denn es hat in Büderich keine Tote gegeben…

Beitrag von Markus Mawick

Fotoquellen:
(1) Soldaten vor dem Kriegerdenkmal 1944: Sammlung Hubert Griewel
(2) Amerikanische Soldaten vor Recklinghausen: SC270694, Signal Corps Archive from United States / Wikipedia

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